Kunsthistorische Interpretationen der Sexualmord-Darstellungen im Werk von Otto Dix und George Grosz

Einleitung

Der Thematisierung von Sexualmorden in der Kunst wurde bislang von der kunsthistorischen Forschung wenig Beachtung geschenkt.

Bis auf ein paar Aufsätze finden sich hauptsächlich kurze, den “Lustmord” betreffende Passagen innerhalb rezeptionstheoretischer Schriften und werkanalytische Beschreibungen sowie Hinweise in Aus­stellungsankündigungen, Interviews und Selbstzeugnissen der Künstler.

Ich beschränke mich in der vorliegenden Arbeit auf Otto Dix und George Grosz, die zu den bedeutenden Vertretern des kritischen Re­alismus in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts zählen, und die in ihrem Werk den Sexualmord mehrfach thematisierten.

Otto Dix und George Grosz schienen mir untersuchenswert im Hinblick auf politische und gesellschaftskritische Aussagen in ihrer Kunst. Im besonderen interessierte mich das in den Sexualmord-Dar­stellungen zum Ausdruck gebrachte Verständnis der Geschlechterbe­ziehungen.

Was hat Künstler veranlasst, Sexualmorde in ihre Kunstwerke um­zusetzen, wie wurden diese aufgenommen und in welchen Kontext wur­den und werden sie von kunsthistorischer Seite gestellt?

Ich versuche in dieser Arbeit über die kunsthistorischen Interpretationen der Sexualmord-Darstellungen die Rezeption der Werke im Hinblick auf das bestehende Geschlechterverhältnis zu beleuchten. Darüber soll real geschehende sexuelle Gewalt nicht außer Acht gelas­sen werden, da die Sexualmorde, wie sie die Künstler darstellten, als Bestandteil der Realität begriffen werden müssen.

Die Interpretation von Kunstwerken, in denen sexuelle Gewalt dargestellt ist, verstehe ich als Möglichkeit, zur Bewusstseinsveränderung der Macht- und Gewaltverhältnisse zwischen Frauen und Männern in der Gesellschaft. Prävention kann dort ansetzen, wo Gewaltrealitä­ten aufgedeckt und gegebene Tabus gebrochen werden.

Ideologiekritische und sozialpsychologische Positionen wurden bisher von der traditionellen Kunsttheorie und Kunstgeschichte weit­gehend ignoriert. Eine kritische Diskussion zum Komplex “Frauenbilder” wurde in den letzten Jahren zunehmend von fachkundigen Frauen – als “Betroffene” – in Gang gesetzt, durch die neue Maßstäbe und Sichtweisen im Hinblick auf bestehende Geschlechterverhältnisse möglich werden. Ich schließe mich hierin der von Inge STEPHAN formulierten These an, “… dass eine Ökonomische und politische Definition von Ge­sellschaft nicht zureichend ist, dass sie ergänzt werden muss durch eine Aussage darüber, was für Beziehungen zwischen den Geschlechtern be­stehen.”1

In den ersten beiden Kapiteln habe ich die Interpretationen der Sexualmord-Darstellungen der beiden Künstler jeweils getrennt unter­sucht, wobei den wichtigsten Zeichnungen und Gemälden eine Bildbe­schreibung vorangestellt wird, um die Beschreibungen der Rezipientlnnen mit den Inhalten der Darstellungen und mit dem möglichen Inter­esse der Künstler an der Thematik zu vergleichen.

Die Rezipientlnnen der Sexualmord-Darstellungen von Otto Dix verweisen immer wieder auf die Kriegserfahrungen des Künstlers, in denen sie die Ursache des Entstehens der Sexualmord-Thematik sehen. Den von den Rezipientlnnen angenommenen Zusammenhang der Kriegs­erlebnisse des Künstlers mit der Sexualmord-Problematik in seinen Werken untersuche ich im dritten Kapitel dieser Arbeit.

Auch bei George Grosz wird diese Verbindung hergestellt. Interessanter erschien es mir, gerade bei Grosz den Zusammenhang der Se­xualmord-Thematik mit dem Selbstmord-Motiv zu untersuchen, der auch von einigen Rezipientlnnen gesehen wird. Im vierten Kapitel stelle ich daher mögliche Verbindungen der beiden mehrfach von Grosz bearbei­teten Motive des >Selbstmordes< und des >Lustmordes< her, die sich auch im Vergleich verschiedener Werke ergeben. Hierbei kann es sich lediglich um einen Versuch handeln, durch Fragestellungen neue Mög­lichkeiten aufzuzeigen, den schwierigen Komplex der Sexualmord-Dar­stellungen in der Kunst zu untersuchen.

1STEPHAN, Inge: “Bilder und immer wieder Bilder…”, in: ARGUMENTE-SONDERBAND AS 96, Berlin 1983, S. 17.

Schlussbetrachtung

Die vorliegende Arbeit verstehe ich als Ansatz zu weiteren kriti­schen Analysen künstlerischer Produktionen, in denen sexuelle Ge­waltstrukturen thematisiert sind. Die Deutung solcher Kunstwerke kann dazu beitragen, real existierende sexuelle Gewalt zu enttabuisieren, ihre Ursachen aufzudecken und Möglichkeiten der Prävention zu finden.

Die Ergebnisse der Rezipientlnnen der Sexualmord-Darstellungen sind gekennzeichnet durch eine Stereotypie von Verschleierung und Verleugnung der in den Bildern thematisierten sexuellen Gewalt. Sie tragen deshalb maßgeblich zur Aufrechterhaltung und Untermauerung sexistischer Gewaltstrukturen bei.

Klischees wie das der Gleichsetzung von Frau und Natur oder psychoanalytische Denkmodelle, die einer ‘männlichen’ Logik und ‘männlichem’ Selbstverständnis Rechnung tragen, dienen der Chiffrie­rung von Bildinhalten. In der Thematik des Sexualverbrechens in der Kunst soll Gesellschaftskritik der Künstler zum Ausdruck kommen, so wollen uns einige Rezipientlnnen glauben machen; andere sehen in den Darstellungen einen Ausdruck männlichen Leidens an der Gesellschaft.

Die unterschiedliche Darstellung des Leidens von Frauen und Männern, sowie die sprachliche Umgehensweise von kunsthistorischer Seite ist erschütternd. Menschliche Anteilnahme erfahren allein Männer, während das Leiden von Frauen sarkastisches Vergnügen auslöst.

Aufschlüsse, die die Sexualmord-Darstellungen von den Künstlern und ihrer Auffassung des Geschlechterverhältnisses geben, werden von den Rezipientlnnen unterschlagen bzw. verharmlost. Was die Künstler in ihren Werken thematisierten, stellen die Rezipientlnnen in einen ande­ren Sinnzusammenhang. Dadurch erfährt die Bildthematik eine Negation, die auch der Intention der Künstler nicht gerecht werden kann – und nicht gerecht werden soll.

Was die Rezipientlnnen für innovativ halten, ändert nicht überkommene Denk- und Sehgewohnheiten, “… denn künstlerische Innovation meint – solange wir in einer von Männern bestimmten Monokultur leben – neue Deutung der Welt aus männlicher Perspektive”, wie es Gisela BREITLING definiert.1

Kunstwerke, in denen sexuelle Gewalt thematisiert wird, haben unterschiedlichen Modellcharakter für Betrachterinnen und Betrachter und müssen dementsprechend in ihrer Wirkung untersucht werden. Die Analyse derartiger Bilder kann nur dann Aufschlüsse für die Zukunft bringen, wenn ihre Inhalte als das erkannt werden, was sie sind. Nur wo Tabus gebrochen werden, können Veränderung und Prävention ein­setzen.

Die Einsicht, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer durch Bilder festgelegt und definiert, vor allem aber auch geprägt werden, kann dazu führen, das bestehende Geschlechterverhältnis durch kunsthistorische Forschung und die Analyse von entsprechenden Bil­dern, wie sie von Frauen und Männern entworfen werden, zu verän­dern.

1BREITLING, Gisela; Bilder der Gewalt – Gewalt der Bilder, in: BENDKOWSKI, Halina/ ROTALSKY, Irene (Hsg.): Die alltägliche Wut, Ge­walt, Pornographie, Feminismus, Berlin 1987, S. 110-117 (Zit., S.115).