Ronald Engert: Der absolute Ort. Philosophie des Subjekts. Band 1

Ronald Engert: Der absolute Ort. Philosophie des Subjekts

Rezension von Marina Stachowiak (20.Nov. 2018): Spannende Beiträge zu Philosophie und Spiritualität

In diesem spannenden Buch hat Ronald Engert seine Aufsätze, die in der Zeitschrift Tattva Viveka von 1994 bis 2007 erschienen, veröffentlicht. Die Philosophie des Subjekts ist, so Engert, der rote Faden, der sich durch die Aufsätze zieht. Denn: „Das Subjekt braucht einen absoluten Ort, um sich und seine Relation zu bestimmen. Der absolute Ort ist die feste Position, an der wir uns ausrichten können und von der aus wir fließen können. Dieser Ort ist eine reine Objektivität, von der aus sich das Subjekt konstituiert.“ Mit diesem absoluten Ort ist Gott / Göttin oder das Göttliche gemeint.

Die spirituelle Suche und Sinnfindung unserer Zeit, die von den konfessionellen religiösen Konzepten und Gottesbildern nicht mehr ausreichend getragen ist, führt häufig in Richtungen, in denen das Absolute nicht erkannt werden kann und sich der einzelne Mensch bloß in weiteren Ideologien, fortgesetzter Ichhaftigkeit und Machtmissbrauch verstrickt.

Engerts Philosophie zielt auf die Sinnhaftigkeit, die hinter den vordergründigen ideologischen Konzepten liegt, welche oftmals zu Trennung, Missverständnissen, ja Ausbeutung und Kriegen führen, gerade auch im Hinblick auf die traditionellen monotheistischen Religionen. Engert erläutert die spirituellen Sinnfragen vor dem Hintergrund der Veden, die als älteste Weisheitsliteratur der Menschheit nicht nur die wesentlichen Seinsfragen stellen, sondern auch Antworten darauf finden. Und zwar Antworten, die im Grunde jeder Mystik und Religion zu finden sind, wobei es weniger um eine denkende, als vielmehr um eine intuitive geistige Erkenntnis geht.

Den Beitrag Omnia videns – Zur Sprachtheorie der Kabbala, die von ganz anderen Hintergründen der Sprachen ausgeht als die akademische Sprachwissenschaft, finde ich äußerst interessant. Demnach haben viele Wörter allein aufgrund ihrer Konsonanten eine gemeinsame Wurzel und es gibt so etwas wie eine Ursprache. Hier ist von der genetischen Sprachwissenschaft die Rede, die nach dem Wesen der Laute und Worte schaut. Buchstaben sind nicht einfach nur beliebige Zeichen, die man zusammensetzen muss, um ein Wort zu bilden, sondern sie haben einen tiefer gehenden Sinn.

Auch die Übereinstimmungen der Bhagavad-gita mit Platons Ideen – Platon und die Bhagavad-gita – sind sehr lesenswert und zeugen von einem spirituellen Hintergrund, der letztlich für östliche wie westliche Weisheitslehren steht.

Ungeheuerlich der Beitrag über Viktor Schaubergers Entdeckung der Levitationskraft oder auch der Aufsatz über das Bewusstsein der Maschinen – Gotthard Günther, der Philosoph der Kybernetik – eine grundlegende Untersuchung zur Frage der Reflexion und der Subjektivität – oder die Bemerkungen zum 11. September und dem Terror der westlichen Welt – Eine ideologiekritische Analyse zu den Anschlägen auf das World Trade Center und den Kriegen der USA.

In seinem Beitrag zu Henri Bergsons Kritik des Intellekts, der mir besonders gut gefallen hat, wird über die Zerstückelung der Zeit und des Raumes berichtet, die vom Intellekt ausgeht, jener Instanz, welche die Ich-Struktur des Menschen markiert, aus der aber ein ganzheitliches Wahrnehmen der Wirklichkeit nicht möglich ist, eben weil die intellektuelle und Ich-orientierte Sichtweise nur Ausschnitte wahrzunehmen imstande ist. Erst dann, wenn der zerstückelte Raum und die lineare und ebenfalls zerstückelte Zeit in ihrer Qualität verstanden wird, kommt es zu dem, was Bergson mit der Dauer meint: „Im Tiefsten unserer selbst suchen wir den Punkt, wo wir uns unserem eigenen Leben innerlich nahe fühlen. Es ist die reine Dauer, in welche wir so zurücktauchen.“ (Bergson) Das Gefühl der Dauer ist das „Zusammenfallen unseres Ichs mit sich selbst.“ (Bergson)

So folger Engert: „Ins Innere des Werdens gelangt man nicht mittels des Intellekts oder der Wissenschaft, sondern durch Sympathie. Die reale Zeit ist Zeugung, nicht Länge. Eine neue Philosophie muss an die Erfahrung anknüpfen. Eine Erfahrung, die vom Intellekt gelöst ist und sich in der Zeit entfaltet, nicht zeitlos.“ Und er zitiert Bergson: „…jenseits der verräumlichten Zeit, in der wir fortgesetzte Umlagerungen von Teilen wahrzunehmen meinen, sucht sie einzig die konkrete Dauer, in der sich ein radikales Neuwerden des Ganzen ohne Unterlass vollzieht. Sie folgt dem Wirklichen in all seinen Krümmungen.“

Es bleibt spannend und ich freue mich auf den zweiten Band. Dem Autor und Chefredakteur der Tattva Viveka alles Wahre, Schöne und Gute.