Joachim Ernst Berendt: Das dritte Ohr. Vom Hören der Welt.

Joachim Ernst Berendt: Das dritte Ohr. Vom Hören der Welt.

Rezension von Marina Stachowiak: Vom Klang der kosmischen Harmonie

Berendts außerordentliches Buch über das Hören ist sehr persönlich inspiriert. Es werden zwar eine Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Studien aufgeführt, aber wir haben es nicht mit einem wissenschaftlichen Buch zu tun, was Berendt ausdrücklich betont. Hingegen lesen wir ein sehr spannendes, inspirierendes und mit vielen Beispielen und Analogien angereichertes Buch über eine Sinnestätigkeit, der wir ständig ausgesetzt sind, die wir aber in unserer rationalen, patriarchalen Welt, in der wir die Dinge fokussieren und damit vereinzeln, kaum wertschätzen. Für uns steht das Sehen im Vordergrund, eine Sinnestätigkeit, die nicht wie das Hören nach innen, sondern nach außen gerichtet ist. Mit dieser Richtungsbetonung erklärt Berendt die Yin- bzw. Yangbetontheit der beiden Sinnestätigkeiten des Hörens bzw. des Sehens.

Besonders erfreut war ich, in Berendt einen Gebser-Kenner zu entdecken. Er erwähnt den Kulturphilosophen und Bewusstseinsforscher Jean Gebser mehrfach und die Schlussfolgerungen, die Berendt insbesondere im Hinblick auf ein sich anbahnendes neues Bewusstsein zieht, sind an Gebsers Werk orientiert. Diesbezüglich spricht Berendt auch von defizienten Zeichen, die darauf hinweisen, dass sich unser auf das Außen der Dinge bezogene rationale und männlich dominante Bewusstsein allmählich einem intensiveren Bewusstsein öffnet, welches den weiblichen Aspekten des Daseins nicht mehr feindlich gegenüber steht und sich dem Inneren zuwendet. So spricht er etwa vom „Lärm als hörbarem Müll“ (S. 148) und davon, dass der „sehende Mensch“ diesen Lärm macht, der „verliebt in Explosionen“ ist (S. 160). „Der Mensch des 20. Jahrhunderts ist in neurotischer Weise auf Explosionen fixiert. Neurosen schlagen in Aggressivität um. Aggressivität will Waffen. Nicht zufällig kulminiert diese Fixierung in der Atombombe, die doch anders denn als Fixierung gar nicht erklärbar ist. Die Aggressivität der Atombombe ist die des optisch hypertrophen – sich ständig über sich selbst und die Welt täuschenden Menschen.“ (S. 161)

Mit dem Öffnen bzw. sich öffnen nach innen, mit dem Hören und Zuhören, können wir uns den inneren Wesenskräften und dem Weiblichen in uns wieder öffnen, so dass die seit Jahrhunderten unterdrückten polaren Kräfte in unseren Seelen heute eine neue Chance haben und uns damit in ein ganzheitlich wahrnehmendes und intensiveres Bewusstsein führen, welches Jean Gebser als das integrale Bewusstsein bezeichnete.

Mit einer Fülle an interessanten Beispielen aus den verschiedensten Bereichen, etwa der Quantenphysik, der Architektur, den Proportionen in der Natur, die sich in harmonikalen Intervallen ergänzen, verweist Berendt immer wieder auf den Klang, jene kosmische Harmonie, die in allem widergespiegelt ist. Ein sehr anregendes, spannendes, leicht zu lesendes und empfehlenswertes Buch.